Diese bei Metallen, wie auch bei den Kunststoffen, zu beobachtende Erscheinung stellt in gewisser Hinsicht einen physikochemischen Angriff dar. Als chemische Agenz genügt allerdings in vielen Fällen bereits die Anwesenheit von Feuchtigkeit. Voraussetzung ist das Vorhandensein von Spannungen, seien es herstellungsbedingte Eigenspannung oder Fremdspannungen, die mehr oder weniger unterhalb der üblichen Zugfestigkeit liegen. Die Rissbildung erfolgt senkrecht zur wirkenden Zugspannungsrichtung. Die Bildung von Spannungsrissen tritt bei vielen Kunststoffen vor allem dann ein, wenn das berührende Medium oberflächenaktiv ist. Die Wirkung dieser Stoffe beruht vermutlich darauf, dass durch das Herauslösen von niedermolekularen Bestandteilen oder von Verunreinigungen aus dem Kunststoff sowie durch Quellen (Solvatation) Gleitvorgänge in den unter Spannung stehenden Zonen auftreten, deren Folge die Rissbildung ist. Die Spannungsrissbildung wird durch Erhöhen der Temperatur wesentlich beschleunigt. Die durch Diffusion eingedrungenen Agenzien verursachen zunächst feine Haarrisse (Crazes), die an den Weißbruch von Kunststoff erinnern. Bei längerer Einwirkung einer oberflächenaktiven Substanz, ggf. in Verbindung mit inneren oder äußeren Zugspannungen, durchdringen die Haarrisse die ganze Wandung und führen zum Bruch (crack) des Formteils. Beispiel: An ungetempertem PSU kann man dies sehr schön verdeutlichen, indem man ein Stück Rohr in Aceton legt. Schon nach kurzer Zeit sind hier die Spannungsrisse zu sehen.
Hinweis: Die Begriffe Spannungsrisskorrosion, Spannungsrissbildung und Crazes werden oft synonym gebraucht. Spannungsrisskorrosion meint aber vor allem Rissbildung aufgrund eines echten chemischen Angriffs des Mediums auf das Rohrmaterial (d.h. Vorgang unter Knüpfung neuer und Aufbrechen alter thermischer Bindungen).