Polyethylen ist zum Standardrohrwerkstoff in der Wasserversorgung geworden

Hochleistungs-Kunststoffrohre aus PE sind aus der Gas- und Wasserversorgung nicht mehr wegzudenken. Gerade Rohrsysteme aus PE 100-RC, ein Werkstoff neuester Generation, verfügen über zahlreiche technische und wirtschaftliche Vorteile beim Bau und Erhalt leitungsgebundener Versorgungsinfrastrukturen. Im Gespräch dazu Dr. Elmar Löckenhoff, langjähriger Branchenkenner und Geschäftsführer des Kunststoffrohrverbandes e. V. (KRV).

Herr Dr. Löckenhoff, worin sehen Sie die wesentlichen Vorteile des Werkstoffs PE für den Einsatz in der Wasserversorgung?

Dr. Elmar Löckenhoff: Wir verfügen in Deutschland über eine ausgezeichnete Trinkwasserqualität. Dabei haben die wenigsten Menschen in unserem Land Kenntnis davon, dass der Ausbau und Erhalt qualitativ hochwertiger Trinkwasserversorgungsnetze mit einem sehr hohen wirtschaftlichen Aufwand verbunden ist. Von daher ist es naheliegend, dass Wasserversorgungsunternehmen für einen generationsübergreifenden Betrieb leitungsgebundener Trinkwasserinfrastrukturen Rohrleitungssysteme benötigen, die durch ihre hohe Qualität und Wirtschaftlichkeit punkten können. An dieser Stelle bieten Rohrsysteme aus PE wegen ihrer ausgereiften Werkstofftechnologie entscheidende Vorteile. Denn diese zeichnen sich durch ihre Langlebigkeit, Widerstandsfähigkeit und Umweltverträglichkeit aus. Die vergleichsweise leichten Rohrsysteme lassen sich einfach und schnell einbauen. Eine ausgereifte Verbindungstechnik stellt ihre dauerhafte Dichtheit sicher. Das Material ist gegenüber aggressiven Böden korrosionsbeständig und verhindert angesichts der glatten Rohrinnenwand Inkrustationen und Druckverluste. Unverkennbar sind aber auch die Materialkostenvorzüge von Kunststoffrohrsystemen in der Trinkwasserversorgung gegenüber anderen Rohrwerkstoffen.

Über welchen Marktanteil verfügen PE-Kunststoffrohrsysteme in der Trinkwasserversorgung?
Dr. Elmar Löckenhoff: Bereits im vorletzten Jahrhundert, genau gesagt im Jahr 1848, nahm die Stadt Hamburg als seinerzeit erste Metropole auf dem europäischen Festland eine nach aktuellen Maßstäben als modern zu bezeichnende Wasserversorgung in Betrieb. Heute verfügt das öffentliche Versorgungsnetz in Deutschland etwa über eine Länge von 530.000 Kilometern. Rohrsysteme aus Polyethylen (PE) kommen erst seit etwa 1960 zum Einsatz. PE ist also noch ein relativ junger Werkstoff. Die Auswertung der Netzstatistik Wasser des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW) aus dem Jahr 2015 weist einen Anteil der PE-Rohre am Versorgungsnetz von ca. 20 % aus. Aus dem hierin bezifferten Durchschnittsalter der Leitungen von 35 Jahren können wir folgern, dass Polyethylen zum Standardrohrwerkstoff in der Wasserversorgung geworden ist. Von den betrachteten 16 Mio. Hausanschlussleitungen waren im Jahr 2015 bereits 73 % aus PE. Bei der Neuverlegung ist der Kunststoff insgesamt der dominierende Werkstoff.

Der Werkstoff verfügt über verschiedene Spezifikationen. Mit PE 100-RC steht dem Markt die neueste PE-Generation zur Verfügung. Worin liegen die besonderen Anwendungsvorteile – technisch und wirtschaftlich – für Versorgungsunternehmen?
Dr. Elmar Löckenhoff: Rohre aus PE 100-RC verfügen bei allen Einbauvarianten über eine besonders hohe technische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Klassisch erfolgt der Einbau von Rohrleitungen in der offenen Bauweise. Das heißt, ein Graben wird ausgehoben, das Aushubmaterial zu einer Deponie oder Aufbereitungsanlage verbracht und das Rohr im Graben in Sand gebettet. All dies erzeugt Kosten und Umweltbelastungen. Außerdem ist Sand mittlerweile ein knappes Gut. Bei einer sandbettfreien Verlegung – und hierfür sind Rohre aus PE 100-RC bestens geeignet – kann der Grabenaushub wieder zur Verfüllung verwendet werden. Somit können Material-, Transport- und Entsorgungskosten eingespart werden.

Wenn aber auf die Sandbettung verzichtet wird, so wirken auf das Rohrsystem zusätzliche durch Steine und Verfüllmaterial verursachte punktuelle Lasten ein. Als besonders vorteilhaft in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass Rohrsysteme aus PE 100-RC hoch widerstandsfähig sind gegenüber den im Boden über einen längeren Zeitraum auftretenden Punktlasten. Hier sprechen wir von einer Resistenz gegenüber einem sogenannten langsamen Risswachstum. Aber egal wie das Rohr gebettet ist, es soll bis zu 100 Jahren genutzt werden können. Und Fakt bleibt, dass bei einer offenen Verlegung der überwiegende Teil der Baukosten und der Bauzeit auf den Tiefbau und die Wiederherstellung der Straßenoberfläche entfällt.

Das spricht für einen verstärkten Einsatz von grabenlosen Bauverfahren?
Dr. Elmar Löckenhoff: Ja, bei grabenlosen Einbauverfahren entfallen diese Kosten. Egal ob Bohren, Pressen oder Ziehen, für den Einbau von PE-Rohren stehen die unterschiedlichsten Verfahren zur Verfügung. Und in diesem Zusammenhang gilt ganz klar: je länger die Rohre sind, umso weniger Rohrverbindungen müssen hergestellt werden. Das spart Zeit und damit auch Geld. Solche Anwendungsvorteile lassen sich durch Rohrsysteme aus PE 100-RC nutzen. Zudem verfügen sie über sehr gute hydraulische Eigenschaften sowie über eine hohe Beständigkeit gegen aggressive Umgebungsbedingungen. Die qualitätsgeprüften Werkstoffe stehen letztlich auch für lange Nutzungszeiten. Somit erlangen Versorger und bauausführende Unternehmen Sicherheit darüber, dass diese Rohre allen Anforderungen an eine moderne und wirtschaftliche Verlegung entsprechen.

Sie sprachen den Aspekt der Resistenz gegen ein langsames Risswachstum an. Können Sie diesen noch etwas detaillierter erklären?
Dr. Elmar Löckenhoff: Ja, natürlich. Wenn bei einer offenen Bauweise ein steinhaltiger Grabenaushub wieder zur Grabenverfüllung verwendet wird, können kleine scharfkantige Steine zu punktuellen Belastungen des Rohres führen. Diese Beanspruchungen an der Rohraußenseite führen zu Spannungskonzentrationen an der Rohrinnenseite. Überschreiten die Spannungen die Festigkeit des Rohrmaterials, sind Risse die Folge. Die Zeitstandfestigkeit und Kerbunempfindlichkeit des PE 100-RC verhindern, dass Risse langsam durch das Material wandern und zum Versagen des Rohres führen.

Mit welcher Lebensdauer können Stadtwerke planen, wenn Sie sich beim Neubau oder bei der Rehabilitation für den Einsatz von PE 100-RC Rohren entscheiden?
Dr. Elmar Löckenhoff: Die Bemessungsgrundlage und Mindestlebensdauer für PE-Druckrohre ist die Norm ISO 9080. Hiernach wird die Lebensdauer von thermoplastischen Rohrwerkstoffen durch Extrapolation berechnet. Thermoplastische Rohre müssen unter den in den Anwendungsnormen festgelegten Betriebsbedingungen mindestens 50 Jahre standhalten. Diese normativ festgelegte Lebensdauer darf aber nicht mit der tatsächlichen Nutzungsdauer eines PE-Druckrohrsystems verwechselt werden. In der Praxis können wir eine Lebensdauer von mehr als 100 Jahren erwarten. Zu nennen sind hier z. B. tatsächliche Betriebsdrücke unterhalb von 10 bar über die gesamte Nutzungsdauer und tatsächliche Bodentemperaturen unterhalb von 20°C. Außerdem liegen die Toleranzen für Wandstärken immer im „Plusbereich“.

Wie ist es um die Verarbeitbarkeit und das Handling vor Ort auf der Baustelle bestellt?
Dr. Elmar Löckenhoff: Hier existieren keine Unterschiede zu anderen Polyethylenrohren. Die Rohrleitungsteile sind mit geeigneten Fahrzeugen zu befördern und sachkundig auf- und abzuladen. Der Lagerplatz auf der Baustelle sollte möglichst frei von Steinen, scharfkantigen Gegenständen und ähnlichem sein. Trinkwasserrohre müssen stets so gelagert werden, dass sie innen nicht verunreinigt werden können. Beim Befördern der Rohre auf der Baustelle ist das Schleifen über den Boden zu verhindern. Polyethylen ist aufgrund seiner physikalischen Eigenschaften bis zu einer Temperatur von ca. -20°C gegen stoß- und schlagartige Beanspruchungen unempfindlich.

Ist der Einsatz von PE 100-RC-Rohren in der Trinkwasserversorgung physiologisch unbedenklich? Können keine Kunststoffbestandteile in das Trinkwasser gelangen und dieses verunreinigen?
Dr. Elmar Löckenhoff: Gemäß § 17 der Trinkwasserverordnung werden in Deutschland Materialien und Werkstoffe auf ihre hygienische Eignung geprüft und bewertet. Dies geschieht auf Basis der entsprechenden Bewertungsgrundlagen des Umweltbundesamtes. Aktuell haben wir es mit der Situation zu tun, dass die Überarbeitung der europäischen Trinkwasserrichtlinie im Entwurf erstmals Grenzwerte für Nonylphenol und Bisphenol A vorsieht. Aber weder beim Umweltbundesamt noch bei den DVGW-eigenen Forschungsinstituten existieren Hinweise darauf, dass die für Kunststoffrohre aus PE 100-RC eingesetzten und nach § 17 der Trinkwasserverordnung geprüften sowie bewerteten Materialien hygienisch für den Einsatz im Trinkwasserbereich ungeeignet sein könnten. Somit gibt es nachweislich keinen einzigen Anhaltspunkt dafür, dass diese Stoffe im Rohrwerkstoff PE enthalten sind und theoretisch ins Trinkwasser migrieren könnten. Der KRV hat jüngst Kunststoffrohre aus PE 100-RC auf mögliche Konzentrationen von Nonylphenol im Trinkwasser gemäß KTW-Leitlinie prüfen lassen. Die Untersuchungen wurden vom Hygiene-Institut des Ruhrgebiets und dem TZW Technologiezentrum Wasser durchgeführt. In keiner der unter-suchten Proben wurde Nonylphenol nachgewiesen. Aus Vorstehendem ergibt sich, dass Kunststoffrohrsysteme aus PE 100-RC alle an sie gestellten hygienischen Anforderungen erfüllen und bedenkenlos eingesetzt werden können. Ein weiterer Punkt ist das Thema Mikroplastik. Auch hier gibt es keine Untersuchungsergebnisse, die darauf hindeuten, dass das Rohrleitungssystem ein zusätzlicher Eintragspfad für Mikroplastik sein könnte.

Wie begegnen Sie Kommunen, die diesbezüglich Bedenken haben?
Dr. Elmar Löckenhoff: Alle Produkte werden im Rahme der Zertifizierung von akkreditierten Prüfstellen auf ihre trinkwasserhygienische Eignung überprüft. Gleiches gilt für die mechanischen Eigenschaften. Somit sprechen wir bei Rohrsystemen aus PE 100-RC von einem sicheren, gesundheitlich vollkommen unbedenklichen Produkt. Und falls Kommunen diesbezüglich tatsächlich Bedenken äußern sollten, treten wir jederzeit sehr gerne mit ihnen in einen konstruktiven und informativen Dialog ein.

Welche Aktivitäten finden rund um die Normung und Qualitätssicherung von Kunststoffrohrsystemen statt?
Dr. Elmar Löckenhoff: Kunststoffrohrsysteme sind standardisierte Produkte, sie werden nach DIN-, CEN- und ISO-Normen hergestellt. In diesen Normen sind auch die Methoden und Prüfungen zur Qualitätssicherung festgelegt. Darüber hinaus werden die hygienischen Anforderungen an Materialien und Produkte im Kontakt mit Trinkwasser – das habe ich schon erläutert – in Deutschland vom Umweltbundesamt festgelegt. Dieses führt keine Zertifizierungen durch und stellt entsprechend keine Zertifikate aus. Auch gibt es keine Produktzulassungen ähnlich einer allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung (abZ) für Bauprodukte und Bauarten, wie sie das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) als deutsche Zulassungsstelle erteilt. Durch das Umweltbundesamt werden ausschließlich die grundlegenden und speziellen Anforderungen zur hygienischen Beurteilung von Werkstoffen und Materialien erarbeitet. Die Einhaltung der hygienischen und technischen Anforderungen wird heute in der Regel durch das Zertifikat einer für den Trinkwasserbereich akkreditierten Zertifizierungsgesellschaft bestätigt.

Wie nachhaltig sind Kunststoffrohrsysteme? Wie steht es um den Recyclinganteil der Rohrsysteme?
Dr. Elmar Löckenhoff: Im Bereich der Trinkwasserversorgung wird aus Gründen der Hygiene und des Gesundheitsschutzes ausschließlich Neuware und keine Rezyklate verarbeitet. In anderen Rohranwendungsbereichen können und sollen selbstverständlich vermehrt Rezyklate zum Einsatz kommen.

Herr Dr. Löckenhoff, herzlichen Dank für das Gespräch!